Am 23. Juli 2020 zunächst informell bekannt gegeben und kommentiert am 9. August 2020, wurde der in interessierten Kreisen sehnsüchtig erwartete Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und des Bundesministerium der Finanzen, der Entwurf eines (Stamm-)Gesetzes zur Einführung von elektronischen Wertpapieren, am 10. August 2020 offiziell veröffentlicht. Die Freude war groß, das Verständnis für die Regelungsinhalte geringfügig. Zur Aufklärung sollte u.a. der am 17. August 2020 mit der Ri 02/2020 erschienene Artikel „Das sichere Krypowertpapier(register) – Warum Startups als registerführende Stelle unwahrscheinlich sind“ beitragen. Doch aus der Welt des sog. Distributed Finance, kurz DeFi, kommen an diesem Wochenende neue Hinweise, warum der Referentenentwurf im Hinblick auf Startups (und Einzelpersonen) nicht abgeschwächt werden darf. Die Anforderungen an Emittenten und registerführende Stellen müssen hoch sein und bleiben. Vielleicht müssen sie sogar erhöht werden. Der Gesetzgeber ist, wie sich im Folgenden zeigen soll, erneut gehalten, aktuelle Entwicklungen in seine Entscheidungen einzustellen.
Zunächst beschränkt sich das sog. Gesetz über elektronische Wertpapiere, kurz eWpG, auf die zukünftige Regelung von Wertpapieren in Gestalt zivilrechtlicher Schuldverschreibungen auf den Inhaber (§§ 793 ff. BGB). Die Normierung elektronischer Aktien und Investmentanteile soll zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, wenn sich die neuen Regelungen „zum Anlegerschutz und der Marktintegrität und zur Verbesserung der Voraussetzungen für Innovationen im Finanzbereich in der Praxis bewähren.“[1] Der Gesetzesentwurf sieht hier umsichtig einige Schutzmechanismen vor, die bereits herausgearbeitet wurden. U.a. dient auch die Fiktion des elektronischen Wertpapiers als Sache im Sinne des § 90 BGB (§ 2 Abs. 3 eWpG-E) Anlegerschutzzwecken, die historisch mit dem Wertpapierrecht gewachsen sind und die es aufrechtzuerhalten gilt.
Die wohl wichtigsten und für Emittenten wie Interessenten an der Rolle der registerführenden Stelle herausforderndsten Anforderungen ergeben sich jedoch aus den geplanten Vorschriften im Kreditwesengesetz (KWG, Artikel 6 des Referentenentwurfs). Aus diesen hohen Anforderungen speisen sich gar Unmutäußerungen, Startups würden benachteiligt.
Diese hohen Anforderungen sind mehr als berechtigt:
Ende August 2020[2] erschien ein neuer Topf voll Token am Ende des Regenbogens namens Ethereum: Das SushiSwap-Project. Ein weiteres sog. DeFi-Projekt, mit keinem essbaren Angebot aber wohl einem finanziell sehr schmackhaften. Binnen weniger Tage wurden mehrere Millionen US-Dollar “elektronisch gebunden”. Am 5. September 2020 tauschte der Schöpfer „Chef Nomi“ sämtliche seiner SUSHI-Token gegen ETH ein – im Wert von 10 Millionen US-Dollar.[3] Auf die ausgelöste Aufruhr in der „Community“ hin weist er einen Exit-Scam von sich. Doch wer kann die frommen Aussagen in den sozialen Medien schon nachprüfen: Wahrscheinlich weiß niemand, wer „Chef Nomi“ ist.
Das Vorliegen eines Kryptowertpapierregisters im Sinne des Gesetzes über elektronische Wertpapiere (eWpG-E) dürfte anzunehmen sein:
Ein Kryptowertpapierregister ist zunächst einmal ein elektronisches Wertpapierregister, in dem Kryptowertpapiere eingetragen sind, vgl. § 4 Abs. 1 und 2 eWpG-E. Nach § 16 Abs. 1 eWpG-E muss ein Kryptowertpapierregister auf einem dezentralen, fälschungssicheren Aufzeichnungssystem geführt werden, in dem Daten in der Zeitfolge protokolliert und gegen unbefugte Löschung sowie nachträgliche Veränderung geschützt gespeichert werden. Die Anforderungen des Referentenentwurfs an das Kryptowertpapierregister selbst sind also nicht hoch. Erforderlich sind lediglich
Nach § 1 eWpG-E ist das Gesetz über elektronische Wertpapiere ausschließlich auf Schuldverschreibungen auf den Inhaber anwendbar. Der aktuell geltende § 793 Abs. 1 S. 1 BGB muss also neu gedacht werden: Dem Inhaber muss eine Leistung versprochen sein, die zwar nicht in einer Papierurkunde, jedoch in elektronischer Form dokumentiert ist. Damit kann der Inhaber vom dokumentierenden Emittenten die Leistung nach Maßgabe des dokumentierten Versprechens verlangen, es sei denn, dass er zur Verfügung über den Eintrag nicht berechtigt ist.
Beinhaltet ein auf einem Ethereum-Smart Contract basierender, i.e. elektronisch geschaffener Token also ein Leistungsversprechen, kann ein sog. Kryptowertpapier im Sinne des Referentenentwurfs vorliegen.
Damit ein Kryptowertpapier im Sinne des Referentenentwurfs angenommen werden kann, bedarf es seiner Begebung. Nach § 2 Abs. 1 S. 2 eWpG-E wird ein elektronisches Wertpapier dadurch begeben, dass an Stelle der Ausstellung einer Wertpapierurkunde eine Eintragung in ein elektronisches Wertpapierregister (§ 4 Abs. 1 eWpG-E) vorgenommen wird. Diese Eintragung kann unter Einsatz eines Ethereum-Smart Contracts erfolgen. Jede Transaktion im Zusammenhang mit einem Ethereum-Smart Contract ist ein Datenbankeintrag und damit auch ein Registereintrag.
Sämtliche Smart Contracts, mit ihnen in Verbindung stehende Transaktionen und sonstige Transaktionen in der Ethereum-Blockchain werden dezentral (aus-)geführt und Block für Block chronologisch gespeichert.
Von einer (relativen) Fälschungssicherheit und (bedingtem) Schutz gegen unbefugte Löschung sowie nachträgliche Änderung kann derzeit ausgegangen werden.
SushiSwap-Smart Contracts gründen auf der Ethereum-Blockchain. Die Grundanforderungen des § 16 Abs. 1 eWpG-E sind damit erfüllt. Der Referentenentwurf ist zudem technologieneutral und schließt nicht aus, dass einzelne oder mehrere miteinander verknüpfte Smart Contracts jeweils ein Kryptowertpapierregister bilden können.
Damit bleibt die Frage: Geht es bei SushiSwap um elektronische Wertpapiere? Wenn ja, dürfte in der Tat ein Kryptowertpapierregister im Sinne des eWpG-E vorliegen. Mit allen Anforderungen an den Emittenten und die registerführende Stelle.
Nach ersten Erkenntnissen ist festzuhalten: Es gibt im Rahmen des SushiSwap-Systems verschiedene Token-Typen und daraus folgende Rechte, deren konkreter Inhalt registriert wird. Zudem werden die den jeweiligen Token innewohnenden Rechte auch abseits der Ethereum-Blockchain konkret zugeschrieben.
SushiSwap ist ein „Abkömmling“ von Uniswap, einer Ethereum-basierten sog. Decentralized Swap Exchange. Uniswap ist, weniger spektakulär formuliert, ein Protokoll, welches es erlaubt, ERC-20-Token tauschen zu können. Dabei kann jeder ERC-20-Token tauschbar gemacht werden – hierfür muss lediglich ein Smart Contract, ein sog. (Liquidity) Pool angelegt werden. Jeder dieser Smart Contracts ist dann eine xToken-Tauschbörse für sich. Der Wert der jeweiligen xToken bestimmt sich dann anhand einer einfachen Gleichung: xToken und daneben ETH müssen mit demselben US-Dollar-Wert „hinterlegt“ werden. Will ein Dritter xToken erwerben, „zahlt“ er ihren Gegenwert in ETH ein. Das Verhältnis von xToken zu ETH verändert sich: weniger xToken stehen mehr ETH gegenüber – der Wert der xToken, die knapper geworden sind, steigt also. Statt Tauschens kann dem xToken auch nur Liquidität beigesteuert werden, mit denen die Beitragenden dann sog. Liquidity Provider Fees verdienen können. Der Beitragende erhält im Gegenzug xPool-Token, die wiederum ERC-20-Token sind. Diese Pool-Token sind wiederum tausch- und einsetzbar in anderen Smart Contracts. Gleichzeitig stellen sie einen Anteil an den gepoolten xToken und den anfallenden Tauschgebühren dar.
SushiSwap ist allerdings kein Uniswap-Smart Contract, sondern ein sog. Fork, eine Abspaltung von UniSwap. Bei SushiSwap handelt es sich um ein Mehrheit von Smart Contracts, die miteinander interagieren.[4] Die einzelnen Smart Contracts und auch ihre Token erfüllen verschiedene Zwecke. Sie eint das gemeinsame SushiSwap-Protokoll, welches die zweckgerichtete Registrierung der Token in den jeweiligen Smart Contracts reglementiert. Zwecke können hier sein, gemäß Abbildung[5] darunter:
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Quelle: Medium (Details siehe Fußnote 5)
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Die beschriebenen Zwecke können als dem jeweiligen SushiSwap-Token zugeschriebene, versprochene Leistung verstanden werden.
Hinzu treten aufsichtsrechtlich interessante Aussagen wie
„The stakers don’t need to do anything and will continue to receive SUSHI token rewards from providing liquidity going forward.“[6]
„To ensure the long-term viability of the project, 10% of every $SUSHI minted will be set aside to fund the development & future iterations including smart contract upgrade and frontend support for the ease of use. No VC, only community fund.”[7]
Nicht zuletzt findet sich ein interessantes Youtube-Video, in dem erklärt wird, wie SushiSwap funktioniert.[8] Der Eindruck eines (kollektiven) Kryptowertpapierregisters wird hier, dargestellt von Satoshi Stacker, insbesondere angesichts dieses „Menus“ unterstrichen:
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Quelle: Satoshi Stacker, YouTube
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Hier handelt es sich nicht um die Darstellung einer Wallet, sondern um die Darstellung der o.g. Liquidity Pools als Teil des SushiSwap-Menus. Diese Pools sind hier in einer Übersicht zusammengeführte, eigenständige Smart Contracts und Register: Unter Verwendung dieser Pools können Nutzer Erträge erzielen. APY gibt dabei an, welcher Ertrag zu erwarten ist. Wer sich registriert, hier durch „Deposit“, erhält die oben benannten Pool-Token. Diese Pool-Token sind tausch- und einsetzbar in anderen Smart Contracts. Gleichzeitig stellen sie einen Anteil an den gepoolten xToken und den anfallenden Tauschgebühren dar.
Sämtliche SushiSwap-Token sollten zwar bei der Beurteilung ihrer Wertpapiereigenschaft einzeln betrachtet werden, dennoch kann festgehalten werden: Die SushiSwap-Token beinhalten Forderungen oder sonstige Rechte. Weil SushiSwap eine funktionale Gesamtheit von Smart Contracts ist, dürfte bei Vorliegen auch nur einer einzelnen Inhaberschuldverschreibung in elektronischer Form ein Kryptowertpapierregister als Ganzes vorliegen.
Die Macht des „Schöpfers“. Wie eingangs angedeutet, hat “Chef Nomi” nach nur wenigen Tagen eine nicht unwesentliche Zahl von SUSHI-Token aus dem System und Liquidität aus einem Pool gezogen.[9] Zuvor wurde er für seine Macht in Form von beinahe 50% an SushiSwap kritisiert. [10] Dem Abzug folgte eine Halbierung des Preises für SUSHI: Binnen 24 Stunden fiel der Preis von 5 US-Dollar auf 2,35 US-Dollar. [11]
„Chef Nomi“ dürfte hier – nach eigener Ansicht – sowohl Emittent als auch registerführende Stelle sein. So schreibt er am 5. September 2020 auf Twitter, dass er den ETH verdient habe für seine Arbeit als SushiSwap-Erschaffer:
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Quelle: Twitter
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In einem weiteren Tweet vom 5. September 2020 erklärt er, die Kontrolle zu übertragen (die er also allein inne hatte und, mangels Klarnamen, unter Umständen behalten hat):
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Quelle: Twitter
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Ein solches (Schein-)„Swapping“ der Verantwortlichenrolle, i.e. eigenständiges Herauslösen aus den Pflichten der registerführenden Stelle und des Emittenten, ist also derzeit problemlos möglich. Genauso wie die Möglichkeit, in der Doppelrolle (Emittent und registerführende Stelle, vgl. § 16 Abs. 2 S. 3 eWpG-E) nicht nur eine technische, sondern auch eine wirtschaftliche Kontrolle über die registrierten Kryptowertpapiere auszuüben. Diese Möglichkeiten müssen, zum Schutze der Anleger, durch entsprechende Schutzvorkehrungen ausgeschlossen werden. Der Referentenentwurf hat die Hürden für registerführende Stellen u.a. durch das Erlaubniserfordernis hoch angesetzt – das ist gut! Dennoch sollte anlassbedingt in Rundumschau geprüft werden, ob Machtmissbrauch in dieser und vergleichbarer Form im besten Fall ausgeschlossen ist. Ob es sich im vorliegenden Fall tatsächlich um einen Scam handelt, bleibt noch abzuwarten.
An dieser Stelle soll kein Vorschlag gemacht werden. Ein solcher wird für eine etwaige Stellungnahme zum Referentenentwurf im Rahmen der öffentlichen Anhörung vorbehalten.
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[1] Referentenentwurf, S. 35.
[2] Der Smart Contract „MasterChef Contract“, ein ERC-20-Token-Contract, wurde am 26. August 2020 „scharfgeschaltet“, https://etherscan.io/address/0xc2edad668740f1aa35e4d8f227fb8e17dca888cd#code.
[3] Castor, Founder of SushiSwap DeFi Protocol Cashes Out“, 5. September 2020, Decrypt, https://decrypt.co/40976/founder-of-sushiswap-defi-protocol-cashes-out (zuletzt abgerufen am 6. September 2020).
[4] Siehe hierzu auch meinen Gastbeitrag zum Thema “Decentralized Finance (DeFi)”, veröffentlicht unter dem Titel “Dezentrale Finanzdienstleistungen führen in ein neues Planetensystem” am 23. Mai 2020.
[5] The SushiSwap-Project, 26. August 2020, https://medium.com/sushiswap/the-sushiswap-project-c4049ea9941e (zuletzt abgerufen am 6. September 2020).
[6] The SushiSwap-Project, 26. August 2020, https://medium.com/sushiswap/the-sushiswap-project-c4049ea9941e (zuletzt abgerufen am 6. September 2020).
[7] @SushiSwap auf Twitter, 26. August 2020, Tweet-Abfolge, beginnend mit https://twitter.com/SushiSwap/status/1298674547860766726?s=20 (zuletzt abgerufen am 6. September 2020).
[8] Der dokumentierte Schock über rund 50 US-Dollar Transaktionsgebühren ist ebenfalls sehenswert.
[9] Castor, Founder of SushiSwap DeFi Protocol Cashes Out“, 5. September 2020, Decrypt, https://decrypt.co/40976/founder-of-sushiswap-defi-protocol-cashes-out (zuletzt abgerufen am 6. September 2020).
[10] Castor, Founder of SushiSwap DeFi Protocol Cashes Out“, 5. September 2020, Decrypt, https://decrypt.co/40976/founder-of-sushiswap-defi-protocol-cashes-out (zuletzt abgerufen am 6. September 2020).
[11] Castor, Founder of SushiSwap DeFi Protocol Cashes Out“, 5. September 2020, Decrypt, https://decrypt.co/40976/founder-of-sushiswap-defi-protocol-cashes-out (zuletzt abgerufen am 6. September 2020).
Fortschritt mit Recht gestalten.