Die Misstrauenskundgaben der Europäischen Kommission gegenüber und über AstraZeneca haben, neben gehäuften Berichten über unangenehme Impfreaktionen[1] und mögliche Nichtwirkung im Hinblick auf die südafrikanische Variante des SARS-CoV-2-Virus,[2] dazu geführt, dass die Impfberechtigten dem Impfstoff nicht trauen und die möglicherweise lebensrettende Impfung ablehnen. Verfügbarer AstraZeneca-Impfstoff sieht also derzeit in deutschen Impfzentren unverimpft seinem Shelf Life Ende entgegen. Ein Unding, das v.a. auf unzureichende Information und Kommunikationsprobleme zurückzuführen ist. Denn aus den auf der Website des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) verfügbaren Produktinformationen[3] sämtlicher in Deutschland verfügbarer Impfstoffe ergeben sich keine Ablehnungsgründe im Sinne geringerer Qualität. Das PEI hat am 18. Februar 2021 noch versucht, der zunehmenden Ablehnwelle mit Aufklärung entgegenzuwirken.[4]
Wie konnte es zu einer solchen Entwicklung kommen? Ein Blick auf verfügbare Verträge und Meldungen über Kooperationen, eingegangen von AstraZeneca, vermag diese nicht zu erklären. Es fehlt schon an konkreten Lieferverpflichtungen gegenüber den EU-Mitgliedstaaten. Vielmehr steht zu erwarten, dass ein Mehr an sachgerechter Information zu einer Entspannung der Lage beiträgt. Zu diesem Zwecke werden nachstehend die wichtigsten Informationen[5] zusammengetragen:
Seit dem Frühjahr 2020 engagiert sich AstraZeneca, um einen COVID-19-Impfstoff weltweit, v.a. auch für finanziell schwache Länder verfügbar zu machen. So schloss AstraZeneca am 4. Juni 2020 einen Vertrag mit der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) und der Impfallianz Gavi im Wert von 750 Millionen US-Dollar, um die Herstellung, Beschaffung und Verteilung von 300 Millionen Dosen des zum damaligen Zeitpunkt noch experimentellen Impfstoffs ChAdOx1 nCov-19 zu unterstützen.[6] Darüber hinaus traf AstraZeneca eine Lizenzvereinbarung mit dem Serum Institute of India (SII), um eine Milliarde Dosen an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen liefern zu können.[7] Bis zum 4. Juni 2020 hatte AstraZeneca bereits den Grundstein für Produktionskapazitäten zur Herstellung von zwei Milliarden Dosen des potenziellen Impfstoffs gelegt.[8]
Vorstehenden Vereinbarungen gingen vor allem die Partnerschaften mit dem Vereinigten Königreich und den USA im Mai 2020 voraus, welche auch die notwendigen Studien ermöglichten. So erhielt AstraZeneca von der Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA) 1,2 Milliarden US-Dollar für die Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung von AZD1222 (ehemals ChAdOx1 nCoV-19).[9] Das Vertragswerk beinhaltete eine Phase-III-Studie von 30.000 Teilnehmern sowie eine weitere Studie zur Untersuchung des Impfstoffs bei Kindern.[10] Die Produktion und Bereitstellung von 300 Millionen Impfdosen sagte AstraZeneca gegenüber BARDA, Teil des HHS office of the Assistant Secretary for Preparedness and Response, für die USA zu.[11] 100 Millionen Impfdosen sagte es kurz zuvor dem Vereinigten Königreich zu.[12]
AstraZenecas Partnerschaft mit Einrichtungen der Oxford University ist vielfältig und Verträge sind nicht einsehbar. Der wohl wichtigste Vertrag ist (mindestens) ein Licence Agreement. AstraZeneca UK Limited hatte mit Wirkung zum 17. Mai 2020 eine Lizenzvereinbarung mit der Oxford University Innovation Limited getroffen. Denn AstraZeneca hat den Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19 nicht entwickelt, sondern das Jenner Institut an der Oxford Universität.[13] Eine Bezugnahme auf diese Lizenzvereinbarung findet sich im Supply Agreement der AstraZeneca UK Limited mit dem Vereinigten Königreich. Zudem sollte AstraZeneca den Impfstoff an die Anforderungen der Massenproduktion anpassen und so die weltweite Versorgung mit Impfstoff voranbringen. Der Impfstoff, so sagte AstraZeneca Oxford zu, würde nicht gewinnorientiert angeboten.[14]
Nein. Man muss nach Vertragsinhalten unterscheiden. Die Verträge AstraZenecas im Frühjahr 2020 beinhalteten – vergleichbar mit dem Inhalt des APA der AstraZeneca AB mit den EU-Mitgliedstaaten – die Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung des Impfstoffs, daneben klinische Studien. Zu diesem Zeitpunkt handelte es sich bei ChAdOx1 nCoV-19 noch um einen experimentellen Impfstoff. Niemand wusste, ob er sich als tauglich erweisen würde. Konkrete Lieferzusagen für den Zeitraum 2020 bezogen sich – soweit ersichtlich – auf durchzuführende klinische Studien.
Die vorläufige Zulassung für den AstraZeneca-Impfstoff erfolgte im Vereinigten Königreich erst am 30. Dezember 2020,[15] in der Europäischen Union am 29. Januar 2021 und in den USA – noch gar nicht.[16] Die Europäische Kommission war also nicht zu langsam, wenn es um die Impfstoffversorgung in den an dem APA beteiligten Mitgliedstaaten geht. Soweit ersichtlich, hat sie lediglich voraussichtliche Produktionskosten des im August 2020 bereits (fertig) entwickelten Impfstoffs vorgeschossen und sich damit nicht an der Finanzierung der (Weiter-)Entwicklung des Impfstoffs und der Durchführung erforderlicher klinischer Studien beteiligt. Sie scheint diese Verantwortung vielmehr den anderen überlassen zu haben.
Das APA vom 27. August 2020 lässt vermuten, dass AstraZeneca AB und die Europäische Kommission ein Vertragsdokument aus dem Zeitraum April/Anfang Mai 2020 wiederverwendet haben. Denn es beinhaltet zwar den Verweis auf den (damals experimentellen Oxford-) Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19, jedoch keinen konkreten Impfstoff mit Namen und Produktbeschreibung („Specifications“) wie das Supply Agreement zwischen AstraZeneca UK Limited und dem Vereinigten Königreich vom 28. August 2020. Zudem nimmt das APA keinen Bezug auf eine (notwendige) Lizenzvereinbarung mit der Oxford University Innovation Limited. Möglicherweise wurden IP-rechtliche Fragen den supply agreements mit den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen. Doch die sind (noch) nicht bekannt. Dass sie existieren, ergibt sich aus den bereits erfolgten Lieferungen. Die akzeptierten Lieferungen belegen zudem die Unschädlichkeit der unzureichenden Bestimmtheit des Impfstoffs im APA.
Der Blick auf das Supply Agreement zwischen AstraZeneca UK Limited und dem Vereinigten Königreich vom 28. August 2020 ist sehr aufschlussreich: Denn es zeigt, dass es eine vorrangige Lieferverpflichtung der AstraZeneca AB gegenüber dem Vereinigten Königreich nicht gibt. Die Vertragspartnerin der Krone ist nämlich nicht die Vertragspartnerin der EU-Mitgliedstaaten. Die AstraZeneca AB ist vertraglich nicht zur Belieferung des Vereinigten Königreichs verpflichtet, sodass es schon an der befürchteten anderweitigen Verpflichtung fehlt. Nicht zuletzt enthält der Vertrag der AstraZeneca UK Limited – ganz im Stile des APA mit der Europäischen Kommission – umfassende Best Reasonable Efforts-Regelungen und keinerlei fixe Liefertermine.
Ein Supply Agreement mit Lieferterminen machte keinen Sinn zu einem Zeitpunkt, an dem noch nicht klar war, ob sich der noch in einem experimentellen Entwicklungsstadium befindliche Impfstoff als wirksam erweisen würde. In Betracht kamen lediglich Absichtserklärungen – für den Fall der Wirksamkeit. Dementsprechend heisst es im Supply Agreement zwischen der AstraZeneca UK Limited und der Krone:
(A) In the licence agreement between AstraZeneca and Oxford University Innovation Limited (the “Head Licensor”) effective as of May 17, 2020 (the “Licence Agreement”), pursuant to which AstraZeneca received an exclusive licence from the Head Licensor to use the Head Licensor’s vaccine technology to research, develop, commercialise, sub-license and otherwise exploit a vaccine for the prevention of SARS-CoV-2 in humans, the Parties stated their intent to enter into an agreement pursuant to which the Purchaser would purchase and AstraZeneca would supply on a _________ doses of the Product to the Purchaser.
Absichtserklärungen können unter Umständen verbindlich sein. Doch eine verbindliche und vorrangige Supply-, d.h. Lieferverpflichtung ergibt sich hieraus nicht. Sonst wäre das Supply Agreement über die im Frühjahr zugesagten 100 Millionen Impfdosen nicht notwendig gewesen.
Der im Interview mit der italienischen la Repubblica[17] von einer vorrangigen Lieferverpflichtung gegenüber dem Vereinigten Königreich sprechende CEO von AstraZeneca PLC, Soriot, dürfte daher lediglich der Fehlinterpretation der Verträge aus dem Frühjahr 2020 erlegen sein, wie auch die Europäische Kommission, als sie im Januar 2021 von einer konkreten Lieferverpflichtung aus dem APA vom 27. August 2020 sprach. Denn diese gibt es nicht. Diese kann, wie im Falle des Supply Agreements, allenfalls aus gesonderten Verträgen („supply agreements“) zwischen AstraZeneca AB und den berechtigten Mitgliedstaaten folgen. Und die sind nicht bekannt oder nicht gegeben.
Soriot dürfte zudem eine Verwechslung mit „supply agreements“ zwischen AstraZeneca und der Oxford Biomedica unterlaufen sein. Diese stellte („supplied“) AstraZeneca, zunächst aufgrund Vertrags vom 28. Mai 2020 und später noch einmal vom 1. September 2020, Produktionsmittel zur Verfügung, damit die Produktion des Impfstoffs „AZB1222“ hochgefahren werden kann.[18]
Die komplexe Impfstoffproduktion und die Impfstoffbelieferung sind (mindestens) zwei unterschiedliche aufeinander aufbauende Phasen, die dementsprechend in (mindestens) zwei unterschiedlichen, aufeinander aufbauenden Verträgen geregelt werden. Die Verträge mit den USA und dem Vereinigten Königreich im Frühjahr 2020 dürften dem APA mit der Europäischen Kommission im August 2020 inhaltlich im Wesentlichen entsprochen haben. Vieles deutet sogar darauf hin, dass das APA aus dem Vertrag mit den USA heraus entwickelt und, unter Zeitdruck, nur notdürftig angepasst wurde. Wirklich Zeit verloren haben die EU-Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, unter Verweis auf die notwendigen (vorläufigen) Impfstoffzulassungen und die kurze Zeitspanne zwischen Zulassung am 29. Januar 2021 und der ersten Belieferung im Februar 2021 jedoch nicht. Die U.S. Food and Drug Administration (FDA) hat den Impfstoff noch gar nicht zugelassen. Die Europäische Kommission und die EU-Mitgliedstaaten haben dafür am Risiko gespart: Das Risiko, nur einen nicht wirksamen Impfstoff in großen Mengen produzieren zu können, haben v.a. die USA und das Vereinigte Königreich getragen.
Die besonders spannenden Fragen betreffen die supply agremeents zwischen AstraZeneca AB und den einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Denn die Order Forms, die dem APA anliegen, stellen eine völlig unzureichende Vertragsgrundlage dar. Ein „normales“ supply agreement hätte insbesondere die Inhalte, die auch am Supply Agreement zwischen Astra Zeneca UK Limited und der Krone abzulesen sind: Konkrete Lieferbedingungen, Regelungen zum Umgang mit (Qualitäts-)Mängeln, Audits und zu zu dokumentierenden Qualitätssicherungsprozessen. Nicht zuletzt fehlt die (Inbezugnahme einer erforderlichen) Lizenzvereinbarung zwischen AstraZeneca AB und Oxford University Innovation Limited, auf deren Grundlage AstraZeneca AB den EU-Impfstoff produzieren und anbieten kann.
Wichtig ist, und das zeigt dieser Beitrag hoffentlich, dass die Kommunikation und Information verbessert werden muss. Mangelnde Kommunikation und Information können nicht durch Meinungen und Werturteile ausgeglichen werden. Die Resultate können wir derzeit live verfolgen.
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[1] Lediglich beispielhaft: https://www.stern.de/gesundheit/reaktionen-nach-astrazeneca-impfung—experten-erklaeren-die-hintergruende–video–30383994.html.
[2] Lediglich beispielhaft: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/unzureichend-wirksam-gegen-die-suedafrikanische-variante-123734/.
[3] Paul-Ehrlich-Institut, COVID-19-Impfstoffe, https://www.pei.de/DE/arzneimittel/impfstoffe/covid-19/covid-19-node.html.
[4] https://www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen/2021/210218-sicherheit-wirksamkeit-covid-19-impfstoff-astrazeneca-infomationen-pei.html.
[5] Ungenauigkeiten sind den fehlenden Vertragsdokumenten und wenigen öffentlichen Informationen geschuldet.
[6] https://www.astrazeneca.com/media-centre/articles/2020/astrazeneca-takes-next-steps-towards-broad-and-equitable-access-to-oxford-universitys-potential-covid-19-vaccine.html.
[7] https://www.astrazeneca.com/media-centre/articles/2020/astrazeneca-takes-next-steps-towards-broad-and-equitable-access-to-oxford-universitys-potential-covid-19-vaccine.html; https://bdnews24.com/coronavirus-pandemic/2020/06/04/astrazeneca-aims-at-2-billion-doses-with-new-covid-19-vaccine-deals.
[8] https://www.astrazeneca.com/media-centre/articles/2020/astrazeneca-takes-next-steps-towards-broad-and-equitable-access-to-oxford-universitys-potential-covid-19-vaccine.html.
[9] https://www.genengnews.com/news/astrazeneca-wins-1-2b-from-barda-to-develop-manufacture-covid-19-vaccine/.
[10] https://www.genengnews.com/news/astrazeneca-wins-1-2b-from-barda-to-develop-manufacture-covid-19-vaccine/.
[11] https://www.hhs.gov/about/news/2020/05/21/trump-administration-accelerates-astrazeneca-covid-19-vaccine-to-be-available-beginning-in-october.html.
[12] https://www.genengnews.com/news/astrazeneca-wins-1-2b-from-barda-to-develop-manufacture-covid-19-vaccine/.
[13] https://www.ox.ac.uk/news/2020-02-07-oxford-team-begin-novel-coronavirus-vaccine-research.
[14] https://www.bloomberg.com/news/features/2020-07-15/oxford-s-covid-19-vaccine-is-the-coronavirus-front-runner.
[15] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/960977/COVID-19_vaccination_programme_guidance_for_healthcare_workers_11_February_2021_v3.3.pdf.
[16] https://www.forbes.com/sites/leahrosenbaum/2021/02/19/the-uk-the-eu-and-the-who-have-all-authorized-astrazenecas-covid-19-vaccine–why-hasnt-the-us/.
[17] https://www.repubblica.it/cronaca/2021/01/26/news/interview_pascal_soriot_ceo_astrazeneca_coronavirus_covid_vaccines-284349628/.
[18] https://www.proactiveinvestors.co.uk/LON:OXB/Oxford-BioMedica-plc/rns/858812.
Fortschritt mit Recht gestalten.