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Die Software war's!

Teil I - Legal Tech

Die Software war's! Teil I - Legal Tech

Die Entscheidung des OLG Köln zum Smartlaw-Vertragsgenerator

Vom vermeintlich erfüllten Wunsch, die Verantwortung auf "Legal Tech" und Nutzer abwälzen zu dürfen:

1. Vorgeschichte und Zusammenfassung der Entscheidung

Auf die Klage einer Rechtsanwaltskammer urteilte das Landgericht Köln am 8. Oktober 2019[1], dass es sich bei dem von einem bekannten Verlag angebotenen Service namens „Smartlaw“, in dessen Rahmen ein sog. Rechtsdokumente-Generator eingesetzt wird, um eine unerlaubte Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG handele und dieser unlauter im Sinne eines Verstoßes gegen das UWG sei. Im Ergebnis bedeutet das, das LG Köln untersagte das Angebot „Smartlaw“. Der Verlag ging in die Berufung, nahm sie jedoch im Laufe des Berufungsverfahrens im Hinblick auf den Unlauterkeitsvorwurf zurück. Das Oberlandesgericht Köln hatte sich also nur noch mit der Frage zu befassen, ob es sich bei dem Angebot „Smartlaw“ um eine Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG handelt, die wider § 3 RDG unerlaubt, also ohne die notwendige Erlaubnis erfolgte.

Das OLG Köln hat mit Berufungsurteil vom 19. Juni 2020 unter dem Az. 6 U 263/19[2] die Klage der Rechtsanwaltskammer abgewiesen und entschieden: Die Beklagte erbringt mit ihrem Angebot unter Einsatz des Rechtsdokumente-Generators keine unerlaubte, weil keine erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG. Der streitgegenständliche Rechtsdokumente-Generator stelle keine Rechtsdienstleistung der Beklagten dar. Vorliegend interagiere der Nutzer allein mit dem Rechtsdokumente-Generator. Ein Rechtsdokumente-Generator, und damit ein Computerprogramm, könne jedoch keine Rechtsdienstleistung erbringen. Das Programm prüfe schließlich nicht, sondern führe lediglich schematischen „Ja-Nein-Code“ (Rn 105) aus.

2. Kurzkommentierung des Berufungsurteils

Diese Feststellungen fügen sich nicht in die Rechtsordnung mit ihren überwiegend technologieneutralen Gesetzen ein. Das OLG hatte das entgeltliche Angebot des Verlags samt Rechtsdokumente-Generator-Software als Hilfsmittel[3] auf die Frage hin zu überprüfen, ob es sich dabei um eine Rechtsdienstleistung handelt. Beschränkt hat es sich im Ergebnis jedoch auf die fragwürdige Feststellung: Die Software erbringt keine (Rechts-)Dienstleistung.

Das OLG Köln fasst zunächst den Sachverhalt und seine Entscheidung unter Rn 37 zusammen:

„Der von der Beklagten unter der Bezeichnung „A“ angebotene digitale Rechtsdokumentengenerator erstellt auf der Grundlage eines Frage-Antwort-Systems aus einer Sammlung von Textbausteinen EDV-basiert individuelle Rechtsdokumente. Dieser Vorgang kann nur mit einer – nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 27.11.2019, VIII ZR 285/18, juris) nicht gebotenen – weiten Auslegung der Tatbestandsmerkmale „Tätigkeit in konkreter fremder Angelegenheit, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalles erfordert“ als Rechtsdienstleistung angesehen werden. Die Software als solche ist nämlich keine „Tätigkeit“ eines Dienstleisters. Tätigkeit der Beklagten als Adressatin des RDG ist das Entwickeln und Bereitstellen der Software.“

Dabei ist die richterliche Begründung an dieser entscheidenden Weiche schon fehlerhaft. Der BGH hat sich in der genannten Entscheidung tatsächlich für eine gebotene weite Auslegung des Begriffs der Rechtsdienstleistung (in Gestalt der Inkassodienstleistung) ausgesprochen. Die “großzügige Betrachtung” begründete er unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte des RDG, die gesetzgeberische Zielsetzung der Liberalisierung des Berufsrechts und Öffnung des Rechtdienstleistungsmarkts sowie den in § 1 Abs. 1 S. 2 RDG formulierten Schutzzweck. Der BGH hat die Öffnung des Rechtsdienstleistungsmarkts gerade nicht dahingehend verstanden, dass jedermann ohne Erlaubnis Softwarelösungen für individuelle Rechtsprobleme anbieten darf.

Leider fehlt es dem Urteil auch sonst an einer tragfähigen Begründung, warum die Software „Rechtsdokumente-Generator“, als Teil eines entgeltlichen rechtlichen Service-Angebots, vom Verlagsangebot getrennt beurteilt wird. Sie bietet sich schließlich nicht selbst dem Nutzer zur Verwendung an, sie legt nicht die Preise fest, sie schließt keinen Vertrag mit dem Nutzer und führt auch kein eigenes Konto bei einer Bank.

Das OLG begnügt sich darüber hinaus mit eher flach anmutenden Verweisen wie unter Rn 99:

„Der von der Beklagten angebotene Rechtsdokumente-Generator begründet keine Gefahr, vor der das RDG schützen will.“

Natürlich begründet Software per se keine Gefahr. Eine solche kann sich jedoch aus ihrem konkreten Einsatz durch den Menschen bzw. eine juristische Person ergeben. An der augenscheinlich angebrachten Prüfung fehlt es jedoch. Stattdessen folgen spöttische, generalisierende Worte des OLG unter Rn 100:

„Warum das Verbot von Dokumentengeneratoren zu einem verbesserten Schutz der Rechtssuchenden führen soll, bleibt unklar.“

Tatsächlich ging es der Klägerin im konkreten Fall (u.a.) um die Vermeidung der Absenkung des gesetzlich garantierten Schutzniveaus zulasten der Rechtsuchenden (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 RDG). Diese Gefahr der Absenkung des Schutzniveaus im Falle des “Smartlaw”-Angebots hat das OLG sogar erkannt. So verweist es, kurz darauf unter Rn 102, auf die grundsätzliche Haftung für Fehler im Rahmen des Rechtsuchenden-Schutzes:

„Für etwaige Mängel der Textbausteine und/oder ihrer logischen Verknüpfung oder sonstiger Mängel des Programms kommt ggf. eine vertragliche Haftung der Dienstleister in Betracht. Auch insoweit bedarf es keiner Untersagung des Geschäftsmodells.“

Es ist sehr verwunderlich, dass das OLG den Gedanken nicht weiterführt. Es verschließt sich damit der selbstgestellten Prüffrage (siehe oben, Rn 37), ob die schutzzweckorientierte, vom BGH ausdrücklich befürwortete weite Auslegung des Begriffs der Rechtsdienstleistung nicht schon deshalb geboten ist, weil deren Anbieter nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 RDG eine bestehende Berufshaftpflichtversicherung mit einer Mindestversicherungssumme von 250.000,00 EUR für jeden Versicherungsfall vorhalten muss. Ein Verlag, der unter Einsatz von Software die Bearbeitung zahlreicher Rechtsfälle mit u.U. denselben Fehlern und Schadensfolgen anbietet, wird wohl kaum die zu erwartenden Schäden in entsprechend hoher Zahl ersetzen. Das Angebot weist damit ein hohes Risiko für eine Vielzahl von Rechtsuchenden auf, welches der Verlag nicht übernehmen möchte[4] und möglicherweise auch nicht übernehmen kann. Die jeweiligen Geschädigten würden in der Folge auf ihrem Schaden sitzen bleiben. Auf ein solches Risiko wird jedoch vonseiten der Beklagten nicht hingewiesen; vielmehr bezeichnet sie ihr Produkt “Rechtsdokument” als „rechtssicher“[5]. Die Automatisierung, oder besser Fließbandisierung[6] der Rechtsfallbearbeitung, wird vom OLG leider sehr einseitig betrachtet. Die Bezeichnung des Beklagtenangebots als “attraktiv”, wie kurz zuvor unter Rn 100, wirkt vor dem Hintergrund des für den Durchschnittsnutzer kaum überschaubaren rechtlichen Risikos befremdlich unreflektiert:

„Es bedarf schon einer konkreten Begründung, dem Verbraucher eine solche attraktive Hilfestellung bei der Erledigung der eigenen Rechtsangelegenheiten in eigener Verantwortung zu untersagen.“

Die Schlussfolgerung des OLG Köln unter Rn 101, der Schutz der Rechtsuchenden könne bereits durch ein Verbot konkreter Werbeaussagen erreicht werden, verursacht nicht zuletzt Kopfschütteln:

„Soweit eine Gefahr für den einzelnen Rechtssuchenden in der Anpreisung eines EDV-gestützten Rechtsdokumentengenerators als ein mit einer anwaltlichen Beratung vergleichbares Angebot liegen kann, bedarf es keiner Untersagung des Geschäftsmodells als solches über § 3a UWG, §§ 2, 3 RDG, sondern (nur) einer Untersagung der irreführenden Werbung für das als solche zulässige Geschäftsmodell.“

Die umfassende Risikoaufklärung des rechtsunkundigen Nutzers in seiner konkreten Rechtsangelegenheit und das Vorhalten einer Berufshaftpflichtversicherung scheinen hiernach überflüssig. Offen bleibt nicht zuletzt die Frage, warum ein “individuelles Rechtsdokument” (siehe oben, Rn 37) nicht hinreichend individualisiert sein soll, um taugliches Ergebnis einer rechtlichen Prüfung des Einzelfalls i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG zu sein.

Ob eine Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG vorliegt, beurteilt sich gerade nicht allein anhand des eingesetzten technischen Hilfsmittels, welches häufig auch von anderen Anbietern eingesetzt werden dürfte. Es entscheidet sich an dem konkreten Angebot und innewohnenden tatsächlichen Risiko. Die vom OLG zu klärende Frage lautete eben nicht, ob ein Computerprogramm eine menschenähnliche Denk- und Rechtsdienstleistung erbringen kann. Diese Frage stellt sich nicht ernsthaft.

3. Was bedeutet das für die Anbieter von „Legal Tech“-Software?

Zunächst einmal bedeutet dies, dass das Urteil des OLG Köln keinen Freifahrtschein darstellt, sog. „Legal Tech“-Softwarelösungen fortan ohne jede Prüfung der Erlaubnisbedürftigkeit anzubieten. Es gestattet nicht, den menschlichen Anteil hieran als gering oder gar nicht gegeben darzustellen. Erst recht bedeutet das Urteil nicht, dass zum Zwecke der Enthaftung der Hinweis genügt: „Hier handelt allein die Software. Wir stellen sie lediglich zur Verfügung.“ Im Zweifel ist es der sicherere Weg, von einer Rechtsdienstleistung i.S.d. § 2 Abs. 1 RDG auszugehen.

Vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 1 S. 2 RDG sollte die grundlegende Frage stets sein: Welche Risiken drohen dem Software-Nutzer und welchen Anteil trage ich als Anbieter an deren Realisierung, z.B. aufgrund verfügbaren Spezialwissens? Je mehr und je höher die Risiken mit hohem Eigenanteil, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass eine weite Auslegung des Begriffs der Rechtsdienstleistung mit der Folge der Erlaubnispflicht zum Tragen kommt. Dies gilt insbesondere dann, wenn Software im Einzelfall rechtlich relevante Entscheidungen übertragen werden. Der Schutz des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung endet gerade nicht bei demjenigen Vertragspartner, der unzureichend informiert ein angeblich „rechtssicheres Rechtsdokument“ zum Nachteil (mindestens) einer weiteren Person einsetzt.

Im eigenen Interesse sollte das „Smartlaw“-Urteil des OLG als Einzelfallentscheidung in fremder Angelegenheit verstanden werden. Es handelt sich lediglich um eine (noch nicht rechtskräftige) Entscheidung mit Bindungswirkung für und gegen die Parteien des Rechtsstreits, vgl. § 325 Abs. 1 ZPO. Es entlastet nicht um die Prüfung des eigenen Rechtsfalls. Das OLG Köln wird im Falle “Smartlaw” sehr wahrscheinlich auch nicht das letzte Wort behalten.

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[1] LG Köln, Urteil vom 08.10.2019 – 33 O 35/19, abrufbar als anonymisierter Volltext unter https://openjur.de/u/2184565.html.

[2] Abrufbar als anonymisierter Volltext unter https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/koeln/j2020/6_U_263_19_Urteil_20200619.html.

[3] Vgl. dazu das erstinstanzliche Urteil, LG Köln, Urteil vom 08.10.2019 – 33 O 35/19, abrufbar als anonymisierter Volltext unter https://openjur.de/u/2184565.html.

[4] Vgl. hierzu Otto, Ri 2019, 149 ff., kostenfrei abrufbar unter https://rechtinnovativ.online/ri-03-2019-otto-schach.

[5] Vgl. hierzu Otto, Ri 2019, 149 ff., kostenfrei abrufbar unter https://rechtinnovativ.online/ri-03-2019-otto-schach.

[6] Ohrendorf in „Innovation und Recht“, Podcast „Irgendwas mit Recht“, Folge 50, abrufbar unter https://www.irgendwasmitrecht.de/imr050-innovation-jura/.e