Die Entscheidung des Tribunal de premiere instance francophone de Bruxelles im Eilverfahren der Europäischen Union gegen AstraZeneca AB (AZ) (Az. 2021/48/C) ist da. Und erntet – mitnichten überraschend – widersprüchliche Pressemitteilungen von der jeweils einen oder anderen obsiegenden Partei.
Lesen muss man die Entscheidung! Und die ist wirklich beeindruckend – ein echtes Fest v.a. für den BioTech-Juristen, mit vielen spannenden Fall-Details, die bislang unter Verschluss geblieben sind.
Das Brüsseler Gericht hat erkannt, dass es sich beim APA nicht um einen Kauf- und Liefervertrag mit festen Lieferzusagen handelt. Es umschreibt ihn als einen Vertrag über die Organisation von Herstellung, Verkauf und Lieferung. Das Gericht arbeitet sich dabei (nach belgischem Recht, aber dem deutschen Recht ähnlich) sauber an Auslegungsgrundsätzen voran. Prüft v.a., ob seitens AZ ein Erfolg oder eine Leistung geschuldet ist.
Zwar deutet der Lieferrückstand auf ein Zurückbleiben hinter den vertraglichen Verpflichtungen hin, jedoch wird ein Liefererfolg vertraglich nicht geschuldet. Das Gericht stellt sogar fest, dass beide Parteien dies klar und unmissverständlich übereinstimmend im APA erklärt haben.
Das Gericht erkennt die auf den von mir wiederholt benannten Unwägbarkeiten (biologische Reaktionen begrenzt planbar, Technologietransfers dauern etc.) beruhenden Probleme bei der Impfstoffproduktion an. Dass AZ hier keine “best reasonable efforts” unternommen hat, sei nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen worden.
Das Gericht stellt fest, dass sich aus dem APA keine Verpflichtung AZs ergibt, alle Produktionsstätten für die Herstellung des EU-Impfstoffs zu nutzen.
Allerdings sieht das Gericht die “best reasonable efforts” nicht erreicht, wo das APA die Einbindung weiterer Produktionsstätten (in UK, Halix und v.a. Oxford Biomedica) vorsieht. Und spricht auch von einer bewussten Entscheidung (grobe Fahrlässigkeit) gegen die Nutzung der – profitabelsten – UK-Produktionsstätte(n) aufgrund des Willens, UK vorrangig zu versorgen. Interessanterweise hat AZ den Beleg für diese Verpflichtung nicht einmal vorgelegt.
Mangels eindeutiger Zurückführbarkeit der Lieferprobleme auf einen Vertragsbruch und Recht zur Priorisierung der EU-Mitgliedstaaten musste das Gericht eine Lösung finden, die Public Health-Dringlichkeit zu achten, gleichzeitig aber AZ auch nicht unbillig zu “bestrafen” (Interessenabwägung). Die zu liefernde Gesamtzahl bis zum 27. September 2021 ergibt sich daher aus einer Schätzung, basierend auf den von AZ mitgeteilten Informationen, v.a. zu den derzeit bekannten Produktionskapazitäten. AZ muss schließlich in der Lage sein, die gerichtlich auferlegte Verpflichtung zu erfüllen. Gleiches gilt für die im Falle der Nichterfüllung anfallenden Sanktionszahlungen – hier seien die Forderungen der Kommission überzogen (!).
Zuletzt hält das Gericht deutlichst fest: die geforderte Lieferung von 219,8 Mio Impfdosen kann nicht auf der Grundlage des APA gefordert werden.
V
Die Entscheidung (in französischer Sprache) kann hier abgerufen werden.
Fortschritt mit Recht gestalten.